Rebecca Knobloch
Lernprozessbegleitende Diagnostik im Kompetenzbereich Lesen als Kernpraktik. Aneignungsprozesse angehender Deutschlehrkräfte im Praxissemester Deutsch
Promotion Germanistik
Die Durchführung von geeigneten Diagnoseverfahren und die angemessene Nutzung diagnostischer Ergebnisse stellen zentrale Aspekte professioneller Kompetenz von Lehrkräften dar, die bereits in der Lehrkräftebildung angebahnt werden müssen. Eine wesentliche Voraussetzung für die Förderung sprachlicher Fähigkeiten von Schülerinnen und Schülern ist die Erhebung der Lernvoraussetzungen. Nur wenn Lehrkräfte die Stärken und Schwächen ihrer Schülerinnen und Schüler wahrnehmen, analysieren und reflektieren, können sie ihren Unterricht auf die individuellen Fähigkeiten und Lernschwierigkeiten einzelner Kinder abstimmen und passende Lerngelegenheiten auswählen. Die lernprozessbegleitende Diagnostik im Bereich Sprache ist daher als sogenannte core practice (vgl. Grossman et al. 2009) von Deutschlehrkräften zu sehen.
Das Dissertationsvorhaben fokussiert exemplarisch die lernprozessbegleitende Diagnostik im Kompetenzbereich Lesen als eine zentrale professionelle Tätigkeit und reale Berufsanforderung. Während bereits empirisch belegt ist, dass die lesediagnostischen Fähigkeiten von Deutschlehrkräften insgesamt nur gering bis mittelmäßig ausgeprägt sind (vgl. Schmidt 2018), ist noch weitgehend unbearbeitet, wie angemessene diagnosebezogene Wissensbestände bei angehenden Lehrkräften ausgebildet werden können und wie Lehr- und Lernarrangements entsprechend strukturiert werden müssen. Dieses Desiderat greift das Dissertationsvorhaben auf, indem es ein innovatives Lernformat entwickelt. Durch Orientierung an einer Core Practice soll eine (bessere) Verbindung zwischen Theorie und Praxis erreicht werden (Yilmaz & Kleickmann 2018). Das Lernformat zielt darauf ab, bereits im Studium Lernräume zu eröffnen, in denen angehende Lehrkräfte systematisch und zugleich orientiert an den praktischen Anforderungen diagnostische Fähigkeiten (für den Kompetenzbereich Lesen) aufbauen können. Das Praxissemester bietet sich in besonderer Weise als ein solcher Lernraum an, da hier Auswahl und Nutzung diagnostischer Instrumente handlungsentlastet erprobt und reflektiert werden können. Im Vorbereitungs- und Begleitseminar zum Praxissemester Deutsch werden deshalb zugrundeliegendes theoretisches Wissen und handlungsnahe Fähigkeiten aufeinander bezogen vermittelt. Eine Kombination von Wissen und Fähigkeiten kann in Anlehnung an Theorien zur professionellen Kompetenz von Lehrkräften als zentrale Basis für effektives Unterrichten verstanden werden (Baumert & Kunter, 2006; Grossman, Hammerness et al., 2009; Voss et al., 2015). Die Studierenden sollen dadurch besser bzw. überhaupt erst erkennen können, wie theoretisches Wissen und die tatsächliche Realisierung von Verhaltensweisen im Sinne der Kerntätigkeit zusammenhängen (Yilmaz & Kleickmann, 2018). Novizen entwickeln individuelle Handlungsstrategien zu Anforderungen aus der Praxis, indem sie zum einen auf entsprechende Wissensbestände zurückgreifen und diese zum anderen im Praxissemester einüben (Fraefel, 2019). Die angehenden Lehrkräfte sollen ihr Wissen, das sie im Laufe des Bachelorstudiums zum Leseerwerb, zur Leseförderung und Lesediagnostik gesammelt haben, in der (fiktiven) Praxis anwenden können (in Settings im Sinne einer Annäherung an die Praxis, sog. approximations of practice, z. B. Grossman et al. 2009). Solche Angebote des Ausprobierens und Übens in Settings, die immer näher an die tatsächlichen Klassenzimmer herankommen, bilden die Grundlage für das Seminar. Ziel des Projekts ist eine explorative Beschreibung der Lernprozesse von Studierenden im Bereich der lernprozessbegleitenden Diagnostik bzw. der adaptiven Leseförderung in der Domäne Lesen. Damit wird die bislang noch wenig untersuchte Prozessperspektive auf Professionalisierung eingenommen.
In der empirischen Untersuchung geht das Dissertationsvorhaben der bisher wenig systematisch erforschten Frage nach, wie solche innovativen Lernräume den Aufbau vernetzten Wissens im Sinne von Wissensschemata (vgl. Harr et al. 2014) unterstützen können. Darüber hinaus erlaubt das Projekt auch Erkenntnisse zum Aufbau von sprachdiagnostischen Wissensschemata und ihrer Rolle im Professionalisierungsprozess, indem es untersucht, wie sich Vorstellungen und Orientierungen von Studierenden zur lernprozessbegleitenden Diagnostik im Laufe der Praxisphase entwickeln.